Johanniskraut statt Antidepressiva? Eine neue Meta-Studie gibt Klarheit darüber, in welchen Fällen Johanniskraut bei Depressionen wirksam ist.
Johanniskraut, ein Bestandteil vieler pflanzlicher Arzneimittel, ist für seine gute Wirkung - zumindest bei leichten bis mittelschweren - Depressionen bekannt.
In diesem Artikel gehen wir der Frage nach, wie gut Johanniskraut Antidepressiva ersetzen kann bzw. welche Patienten mit welchen Symptomen Johanniskraut statt Antidepressiva einnehmen können.
Genau diese Fragen wurden in einer Meta-Studie untersucht. Das ist eine Studie, in der viele einzelne Studien zu Rate gezogen, analysiert und ausgewertet werden. Die Ergebnisse einer Meta-Studie sind deswegen als viel gewichtiger zu werten als die bloßen Ergebnisse einer einzelnen Studie.
Prof. Edzard Ernst und die Cochrane-Meta-Studie
Professor Edzard Ernst ist - eigentlich - ein bekannter Gegner der Komplementär- und Alternativmedizin. Er schrieb einen positiven Bericht über eine Meta-Studie von Cochrane zu Johanniskraut, in der untersucht wird, wie gut Johanniskraut im Vergleich zu Antidepressiva abschneidet.
Er wundert sich, dass es - angesichts der Bedenken zur Sicherheit und Wirksamkeit von Antidepressiva und anderen Psychopharmaka - ein Rätsel ist, warum Johanniskraut nicht häufiger als sichere wirksame Alternative zu Johanniskraut eingesetzt wird.
Wirkt Johanniskraut nur bei Deutschen?
Wenn Edzard Ernst sagt, dass eine Heilpflanze tatsächlich wirksam ist, sollte man das zur Kenntnis nehmen. Aber ist das Johanniskraut (Hypericum perforatum) wirklich das perfekte Antidepressivum Seltsamerweise scheint es davon abzuhängen, ob man Deutscher ist oder nicht.
Die Cochrane-Studie umfasste 29 randomisierte, doppelblinde Studien mit insgesamt 5500 Patienten. Die Autoren schlossen nur Studien ein, bei denen alle Patientinnen und Patienten die DSM-IV- oder ICD-10-Kriterien für eine schwere Depression (Major Depression) erfüllten. In 18 Studien wurden Johanniskraut-Präparate mit Johanniskrautextrakt mit Placebo-Pillen verglichen, in 19 mit herkömmlichen Antidepressiva. (Einige Studien untersuchten auch beides).
Unterschiedliche Ergebnisse abhängig vom Land der Studie
Die Analyse ergab, dass Johanniskraut-Extrakte insgesamt deutlich wirksamer war als Placebo. Das Ausmaß des Nutzens war ähnlich groß wie man das in anderen Studien bei herkömmlichen Antidepressiva kennt (etwa 3 HAMD-Punkte). Dies schien allerdings nur zu gelten, wenn Studien aus dem deutschsprachigen Raum untersucht wurden.
Von den 11 deutschsprachigen Studien zeigten 8, dass Johanniskraut signifikant besser war als Placebo, und die anderen 3 waren alle sehr ähnlich. In keiner der 8 nicht-deutschen Studien erwies sich Johanniskraut als wirksam, und nur eine war nahe dran.
Edzard Ernst ist im Übrigen Deutscher. Die Autoren dieser Studie auch.
Über die Heilpflanze Johanniskraut (Hypericum perforatum)
Johanniskraut ist eine Pflanze mit gelben Blüten. Es hat seinen Namen daher, dass die Pflanze typischerweise in der Zeit blüht, in der auch Johannes dem Täufer seinen Namenstag hat. Es gibt sogar einen Brauch, das Johanniskraut über einem Bild anzubringen, um so Schlechtes abzuwehren.
Zwar enthält das Johanniskraut viele Inhaltsstoffe, doch der Großteil der Wirkung von Johanniskraut scheint auf die beiden Wirkstoffe, Hyperforin und Hypericin, zurückzuführen zu sein.
Anwendungsformen
Eine Behandlung zur Stärkung der psychischen Gesundheit erfolgt typischerweise durch Einnahme von Johanniskraut-Extrakten. Johanniskrautöl ist eher für die äußerliche Anwendung gedacht. Tüpfel Johanniskraut-Öl hierzu einfach auf die Haut und reibe es ein. Weitere Johanniskraut-Zubereitungen sind beispielsweise diverse Johanniskraut-Tee(s).
Am besten achtest Du bei der Auswahl eines Produkts auf eine gute Qualität: Jarsin oder Laif 900 balance sind gute Produkte, die auch als pflanzliche Arzneimittel anerkannt sind, und die einen standardisierten Johanniskraut-Extrakt enthalten.
Ein genauerer Blick auf die Studien-Ergebnisse zu Johanniskraut im Vergleich zu Antidepressiva
Das Bild war etwas klarer, als Johanniskraut direkt mit herkömmlichen Antidepressiva verglichen wurde: Es war fast genauso wirksam. Nur in einer kleinen Studie war es deutlich schlechter. Dies galt sowohl für deutsche als auch für nicht-deutsche Studien, und zwar sowohl für die älteren trizyklischen Antidepressiva (Trizyklika) als auch für die neueren Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRIs).
Gute Verträglichkeit
Das vielleicht überzeugendste Ergebnis war, dass Johanniskraut gut verträglich war. Die Patienten brachen die Studien nicht häufiger wegen Nebenwirkungen ab als Patienten, die ein Placebo einnahmen (OR=0,92), und die Wahrscheinlichkeit eines Abbruchs war deutlich geringer als bei Patienten, die Antidepressiva erhielten (OR=0,41). Auch die gemeldeten Nebenwirkungen waren sehr gering. (Es kann jedoch gefährlich sein, wenn es mit bestimmten Antidepressiva und anderen Medikamenten kombiniert wird).
Johanniskraut-Präparate so wirksam wie Antidepressiva, aber weniger Nebenwirkungen?
Was bedeutet das also: Johanniskraut als Antidepressivum?
Wenn man es optimistisch betrachtet, ist es eine wunderbare Nachricht. Johanniskraut, ein natürliches pflanzliches Produkt, ist so gut wie jedes andere Antidepressivum gegen Depressionen und hat viel weniger Nebenwirkungen, vielleicht sogar überhaupt keine. Es sollte das Mittel der ersten Wahl bei Depressionen sein, vor allem weil es billig ist (keine Patente).
Aber aus einer anderen Perspektive wirft diese Studie mehr Fragen auf als sie beantwortet. Warum hat Johanniskraut in deutschen Studien so anders abgeschnitten als in nicht-deutschen? Die Autoren versuchen das folgendermaßen zu erklären:
Ein Erklärungsversuch
Unsere Feststellung, dass Studien aus dem deutschsprachigen Raum günstigere Ergebnisse lieferten als Studien aus anderen Ländern, ist schwer zu interpretieren... Die Konsistenz und das Ausmaß des beobachteten Zusammenhangs deuten jedoch darauf hin, dass es wichtige Unterschiede in der Art und Weise gibt, in der die Studien in den verschiedenen Ländern durchgeführt wurden.
Die offensichtliche, jedoch etwas zynische Erklärung ist, dass es viele deutsche Studien gibt, die zu dem Ergebnis kommen, dass Johanniskraut nicht wirkt; dass diese aber nicht veröffentlicht werden, weil Johanniskraut in den deutschsprachigen Ländern sehr beliebt ist und die Menschen keine schlechten Nachrichten darüber hören wollen. Die Autoren spielen die Möglichkeit einer solchen Verzerrung bei der Veröffentlichung herunter:
Wir können nicht ausschließen, bezweifeln aber, dass die selektive Veröffentlichung von über-optimistischen Ergebnissen kleiner Studien unsere Ergebnisse stark beeinflusst.
Aber wir wissen es eben nicht ganz genau.
Die Auswahl der betroffenen Patienten
Die interessantere Erklärung ist, dass Johanniskraut in deutschen Studien tatsächlich besser wirkt, weil deutsche Forscher eher die Art von Patienten rekrutieren, die gut auf Johanniskraut ansprechen.
Die vorliegende Übersichtsarbeit ergab, dass in Studien, die Patienten mit schwereren Depressionen einschlossen, der Nutzen von Johanniskraut im Vergleich zu Placebo etwas geringer ausfiel, was das Gegenteil von dem ist, was üblicherweise in Studien zu Antidepressiva beobachtet wird, wo der Schweregrad mit dem Ansprechen korreliert.
Die Autoren weisen auch darauf hin, dass es Hinweise darauf gibt, dass so genannte atypische Depressionssymptome - wie übermäßiges Essen, viel Schlaf, Unruhe und Angstzustände - besonders gut auf Johanniskraut ansprechen.
Johanniskraut wird oft unterschätzt
Es könnte also sein, dass Johanniskraut bei einigen Patienten gut wirkt, aber solange Studien dies nicht im Detail untersuchen, werden wir es nicht wissen. Eines ist jedoch sicher: Die Hinweise für eine gute Wirksamkeit von Johanniskrautextrakten sind stark genug, um ein größeres wissenschaftliches Interesse zu rechtfertigen, als es derzeit der Fall ist.
In den meisten englischsprachigen Psychopharmakologie-Kreisen wird Johanniskraut lediglich als unbedeutende Randerscheinung betrachtet. Da fehlt wohl auch die Lobby für pflanzliche Präparate, aber das ist ein anderes Thema.
Die Schwäche unseres Diagnosesystems
Der Fall des Johanniskrauts zeigt auch die Schwächen unseres derzeitigen Diagnosesystems für Depressionen auf. Nach dem DSM-IV hat jemand, der sich elend fühlt, viel weint und zum Trost Eis isst, dieselbe Störung - nämlich eine Major Depression - wie jemand, der nicht essen oder schlafen kann und schwere melancholische Symptome aufweist.
Der Begriff ist so weit gefasst, dass er eine große Bandbreite von Problemen umfasst, und Ärzte in verschiedenen Kulturen können das Wort Depression sehr unterschiedlich anwenden.
Antidepressiva und Johanniskraut zusammen nehmen?
Keine gute Idee, denn aufgrund der Wechselwirkungen kann u.a. das tödliche Serotonin-Syndrom auftreten.
Fazit: Johanniskraut oder Antidepressiva
Die Analyse der Cochrane-Meta-Studie scheint zu bestätigen, was man auch von anderen Studien und anderen Experten kennt. Johanniskraut ist bei vielen Patienten sehr wirksam, jedoch nicht bei allen.
Johanniskraut-Extrakten bei leichten bis mittleren Depressionen den Vorzug geben
Wenn man genauer hinschaut, so spricht vieles dafür, dass vor allem Menschen mit leichten bis mittelschweren Depressionen von einer Einnahme von Johanniskraut-Präparaten profitieren. Bei echten Antidepressiva-Medikamente(n) scheint es eher andersrum zu sein. Hier profitieren eher Menschen mit schweren Depressionen.
Wenig Nebenwirkungen, viele Wechselwirkungen
Ein großer Vorteil von Johanniskraut ist - auch das konnte die Cochrane-Meta-Studie zeigen - die gute Verträglichkeit von Johanniskraut. Das bedeutet konkret: viel weniger Nebenwirkungen, z.B. nur leichte Magen-Darm-Beschwerden; von den leider vielen Interaktionen, also Wechselwirkungen, mit anderen Medikamenten bzw. Arzneimitteln einmal abgesehen.
Aus diesem Grunde solltest Du Johanniskraut und Antidepressiva auch nicht gemeinsam einnehmen. Falls Du also Medikamente einnimmst, solltest Du dies unbedingt mit deinem Arzt besprechen.