„Habe ich durch die Langzeiteinnahme von Antidepressiva Langzeitfolgen oder gar Langzeitschäden zu befürchten?“
Da ich selbst jahrelang Antidepressiva eingenommen habe, habe ich mir diese Frage schon viele Male selbst gestellt. Und natürlich habe ich auch viel dazu recherchiert. Denn zu möglichen
In diesem Artikel möchte ich dir mitteilen, was meine Recherchen ergeben haben und natürlich auch, was meine eigenen persönlichen Erfahrungen zu Spätfolgen und Langzeitschäden durch Antidepressiva sind.
Einen separaten Artikel zu möglichen kurzfristigen Nebenwirkungen von Antidepressiva (incl. Tabelle) gibt es übrigens in einem separaten Artikel.
Bevor wir uns detailliert dem Thema widmen, möchte ich jedoch noch kurz erläutern bzw. definieren, was ich mit Langzeitfolgen und Langzeitschäden meine.
Langzeitfolgen vs. Langzeitschäden
Sicherlich ist der Übergang zwischen diesen beiden Begriffen irgendwo auch fließend.
Langzeitschäden
Dennoch: unter Langzeit-Schäden verstehe ich etwas, das in unserem Körper bzw. in unserem Gehirn irreparabel geschädigt wird. Das sich auch nach jahrelanger „Abstinenz“ nicht mehr bessert.
Für mich würde das so was bedeuten wie die folgenden Punkte:
- Nebenwirkungen, die auch nach dem Absetzen von Antidepressiva weiter bestehen bleiben und sich nicht bessern. Z.B. anhaltende Erektionsstörungen/Ejakulationsstörungen/Störungen der Libido.
- Konzentrationsstörungen oder Gedächtnisstörungen, die bestehen bleiben und die darauf hindeuten, dass im Kopf etwas nicht mehr so gut funktioniert wie vorher.
- Erhöhte Risikofaktoren für neurologische Erkrankungen wie beispielsweise Parkinson oder Demenz.
- Erhöhtes Risiko für andere Erkrankungen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes oder Krebs.
- Verminderte Lebenserwartung.
- Nachgewiesene anhaltende Veränderungen im Neurotransmitter-Stoffwechsel (Serotonin, (Nor-)Adrenalin, Dopamin).
Dass sich so etwas in der Art durch die langfristige Einnahme einstellt, war und ist noch immer meine größte Befürchtung, zumal ich persönlich zu einer verstärkten Angst neige bei allen Dingen, die meine Gesundheit betreffen.
Langzeitfolgen
Darunter verstehe ich Folgen durch die Einnahme von Antidepressiva, die noch lange Zeit nach dem Absetzen anhalten (können), die aber dennoch mit der Zeit besser werden und reversibel sind.
Darunter zähle ich:
- Entzugssymptome, die direkt nach dem Absetzen oder nach der Reduktion der Dosis des Antidepressivums auftreten, z. B. Schlafstörungen, Verschlechterung der depressiven Symptomatik, Gleichgewichtsstörungen, Übelkeit, Kopfschmerzen, Reizbarkeit, Herzklopfen oder Muskelzuckungen.
- Das weiter anhaltende Übergewicht, das sich oftmals bei langfristiger Einnahme von Antidepressiva einstellt und das natürlich mit dem Absetzen der Antidepressiva nicht von heute auf morgen verschwindet.
- Der Entzugsprozess als solches. Denn in den allermeisten Fällen können Antidepressiva nicht schnell reduziert bzw. abgesetzt werden. Denn die üblicherweise von vielen Psychiatern vorgeschlagene Methode nach dem Motto “alle zwei Wochen eine halbe Tablette weniger“ funktioniert bei vielen nicht, da viel zu schnell. So wie „weniger manchmal mehr ist“, ist „langsamer manchmal besser“. Das Absetzen kann sich, je nachdem wie lange man AD eingenommen hatte, Monate und sogar 1-2 Jahre hinziehen.
Meine persönlichen Erfahrungen
Fangen wir mit meinen eigenen persönlichen Erfahrungen an.
Zu schnell abgesetzt
Ich hatte selbst schonmal (eigentlich sogar schon zweimal) den Fehler gemacht, zu schnell reduziert und abgesetzt zu haben.
Beim ersten Mal ging es mir eine Zeitlang besser und ich dachte deshalb, ich sei so weit, jetzt zu reduzieren: ich habe Citalopram innerhalb einiger Wochen von 20mg auf 15mg und dann auf 10mg reduziert. Und war so stolz, dass ich dies einigermaßen gut geschafft hatte. Dann hatte ich den großen Fehler gemacht, mir keine „Pause“ zu gönnen und habe zu schnell auf 5mg und dann auf 0mg reduziert. Ich wollte zuviel auf einmal und habe die Quittung in Form eines heftigen depressiven Rückfalls bekommen. Mit der Folge, dass ich wieder langsam auf 20mg hochdosieren musste. Die ganzen Nebenwirkungen, die man so beim Einschleichen verspürt, hatte ich natürlich wieder. Und war letztlich keinen Schritt weiter als zuvor.
Beim zweiten Mal war es die Angst vor Langzeitschäden selbst, die mich dazu brachte, von (bei diesem Male) 5mg auf 0 zu reduzieren. Ich hatte einen Artikel gelesen, der die Einnahme von Antidepressiva mit einer Störung der Mitochondrien in Verbindung brachte, was irgendetwas in meinem Unterbewusstsein getriggert haben muss, dass ich spontan diese schlechte Entscheidung zu einem abrupten Absetzen getroffen habe.
Auf das richtige Absetzen von Antidepressiva möchte ich gerne in einem separaten Artikel eingehen. Hier sei nur soviel gesagt. Der Erfolg führt hier über die Formel „langsam und in kleinen Schritten“. 5mg mag einem wenig vorkommen. Aber von 5mg auf 0mg ist es einfach (für manche) ein riesengroßer Schritt.
Ich möchte dir auch keine unnötige Angst bezüglich des Absetzens machen. Denn wenn man es richtig macht, ist es durchaus ohne größeren Nebenwirkungen und Absetzsymptome möglich.
Meine Langzeitfolgen
Was nach meiner Einnahme bzw. nach dem Absetzen längerfristig geblieben ist, waren auf jeden Fall folgende beiden Punkte:
- Übergewicht: von den 25kg, die ich während der Einnahme der Antidepressiva zugenommen habe, bin ich leider immer noch nicht komplett runter.
- Schlafstörungen: mein Schlaf war definitiv lange Zeit „gestört“ in dem Sinne, dass es mir schwerer viel einzuschlafen und durchzuschlafen. Pflanzliche Mittel wie 5-htp (Griffonia) sowie Melatonin haben mir dabei sehr gut geholfen. Dazu eine Verbesserung meiner Schlafgewohnheiten (Schlafhygiene).
Ansonsten bin ich heute glücklich sagen zu können, dass ich keine weiteren Langzeitfolgen mehr verspüre.
Langzeitschäden unbekannt
Das bedeutet natürlich nicht, dass es bei mir ganz sicher gar keine Langzeitschädigungen oder anhaltende Veränderungen in meinem Gehiern gibt. Schließlich kann ich nicht in meinen Kopf oder in meinen Körper hineinschauen. Und wahrscheinlich ist das auch gut so.
Ich weiß nicht, ob ich im Alter mal früher dement werde oder eine andere neurologische Erkrankung bekomme. Ich weiß auch nicht, ob mein Risiko für Krebs, Diabetes oder Herzkreislauf-Erkrankungen erhöht ist. Bisher gibt es aber keine Hinweise darauf.
Und natürlich bin ich als Einzelperson auf gar keinen Fall repräsentativ. Deswegen wäre es auf jeden Fall der logisch nächste Schritt, sich einmal anzuschauen, was die Forschung und aktuelle Studien zu den Langzeitfolgen und Langzeitschäden durch langfristige Antidepressiva-Einnahme zu sagen hat.
Abwägen von Risiken und Vorteilen
Doch vorweg eine Warnung: überlege Dir gut, ob Du dir die untenstehenden Studien anschauen und zu Gemüte führen möchtest.
Denn zum Einen gibt es gar keine klaren Ergebnisse. Die Forschung zu Langzeitschäden ist sehr dürftig und die wenigen Studien, die existieren, kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen.
Auch die Meinung von Forschern und Ärzten ist sehr unterschiedlich. Und wenn man darüber nachdenkt, ist das auch nur logisch.
Die Sichtweise ist entscheidend: man muss den Menschen und seine Situation als Ganzes betrachten.
In einer akuten Notlage, bei der man an Antidepressiva „nicht drum herum kommt“, stellt sich die Frage meiner Meinung nach nicht wirklich. Natürlich lässt sich darüber streiten, was eine akute Notlage ist. Meiner Meinung nach: bei Suizidgefahr.
Man sollte auch beachten, dass es im Leben ja noch vielen andere Dinge gibt, die „ungesund“ sein können. Bin ich im Dauerstress und nahe des Burnouts oder leide ich unter Schlafstörungen, kann das auf Dauer gesehen gravierende gesundheitliche Folgen haben.
Stress und mangelnder Schlaf stehen ganz oben als Ursache für unsere Zivilerkrankungen. Oftmals geht Stress auch noch mit einer ganzen Reihen von anderen ungesunden Verhaltensweisen einher: übermäßiger Zigaretten- und/oder Alkoholkonsum, Heißhungerattacken mit ungesundem Essen und Übergewicht.
Da stellt sich dann einfach nicht die Frage, ob Antidepressiva ungesund sind, sondern vielmehr, was denn das kleinere Übel ist.
Deswegen rate ich von überschnellen Entscheidungen ab und empfehle nicht nur den Blick aufs Ganze, sondern auch den Blick in die Zukunft.
Die eigentliche Gefahr von Antidepressiva
Das eigentliche Dilemma bei Antidepressiva ist meiner Meinung nach das Folgende, vielleicht mal abgesehen davon, dass die Kombi von Antidepressiva und Alkohol tödlich enden kann:
- Die Antidepressiva wirken gut, es geht einem gut damit und nach einiger Zeit fühlt man sich so gut, dass man bereit ist, die Dosis zu reduzieren und schließlich abzusetzen.
- Nach einiger Zeit, bei manchen früher, bei manchen später, merkt man, dass es auf einmal doch nicht mehr so gut, und schließlich beginnt man wieder mit den Antidepressiva.
- Dieses Auf und Ab kann sich mehrmals abspielen, bis man zu dem Schluss kommt, dass es ohne einfach nicht geht. Und so vergehen dann die Jahre.
Der Mittelweg als Ausweg aus dem Dilemma
Der Ausweg aus diesem Dilemma liegt meiner Meinung nach darin, die Antidepressiva langsaaaam zu reduzieren. Es bleibt nicht aus, dass es einem dabei ein bisschen „schlechter“ geht. Aber es soll so sein, dass man es aushalten kann. Und dann hat man auch die Kraft, sich seinen eigenen Problemen zu stellen und daran zu arbeiten.
Als ich mal längere Zeit auf einer hohen Dosis war und zeitgleich in Gesprächstherapie, da wusste ich oft nicht, worüber ich sprechen sollte. Ich hatte keinen Bedarf, weil es mir dann einfach gut ging.
Genau dann ist der richtige Zeitpunkt, die Dosis ein bisschen zu reduzieren. Es geht einem ein bisschen schlechter, man hat mehr Gesprächsbedarf und kann wieder an sich arbeiten. Erst wenn es einem wieder richtig gut geht über eine längere Zeit, kann man die nächste Dosisreduktion angehen.
Die Wissenschaft und Forschung über Langzeitschäden von Antidepressiva
Herzinfarkt, Schlaganfall und Sterberisiko
Eine Meta-Studie aus dem Jahr 2017, die 17 Studien untersuchte, kommt zu dem Ergbnis:
Menschen, die Antidepressiva einnehmen, haben ein um 14% erhöhtes Risiko, einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall zu erleiden und ein um 33% erhöhtes Sterberisiko.
Die Studie berücksichtigte allerdings nicht, dass alle Menschen mit Depressionen ein erhöhtes Risiko für Herzerkrankungen, Schlaganfall, Diabetes und frühzeitigen Tod haben.
Herzinfarkt, Schlaganfall und Sterberisiko
Eine Studie von 2016 sieht ein erhöhtes Risko, an Demenz zu erkranken, während eine neuere Studie von 2019 eher das Gegeteil beobachtete: bei Menschen, die bereits an leichter Vergesslichkeit litten, konnte durch SSRI-Antidepressiva die einsetzende Demenz hinausgezögert werden.
Diabetes
Mehrere Studien sehen einen Zusammenhang zwischen der Einnahme von Antidepressiva und der Störung der Blutzuckerregulation. Deswegen sollten Menschen, die bereits unter erhöhtem Blutzucker oder gar unter Diabetes Typ 2 oder einer Vorstufe davon, ihren Blutzuckerspiegel besonders gut im Auge behalten.
Fazit
Die Vor- und Nachteile einer langjährigen Einnahme von Antidepressiva gegeneinander abzuwägen ist nicht einfach.
Dass es keine leichten Antidepressiva ganz ohne Nebenwirkungen gibt, ist allseits bekannt, doch die Frage nach möglichen Langzeitfolgen von Antidepressiva zu beantworten, ist deutlich schwieriger.
Zwar gibt es noch keine eindeutig bewiesenen Langzeitschädigungen, die von einer jahrelangen Einnahme von Antidepressiva resultieren. Das bedeutet jedoch nicht, dass es die nicht gibt.
Die existierenden Studien beschäftigen sich vor allem mit dem Risiko von Herz-Kreislauferkrankungen (Schlaganfall, Herzinfarkt), Diabetes und Demenz, kommen jedoch nicht zu einem eindeutigen Ergebnis.
Um einerseits mögliche Langzeitschäden zu vermeiden, andererseits aber auch das Rückfallrisiko zu minimeren, empfehle ich ein langsames Ausschleichen in möglichst kleinen Schritten und auf möglichst lange Zeit. So, dass es einem zwischen den Reduktionsschritten immer wieder richtig gut geht.